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Mary Anning und die Fossilien



Die Geschichte der Mineralogie, Geologie und Paläontologie ist vor allem eine Geschichte der Männer. Frauen war es lange Zeit versagt, ihr Wissen an Universitäten zu vertiefen geschweige denn, sich in den Wissenschaftsalltag einzubringen. Eine Frau, die sich darüber hinwegsetzte und deren Lebenswerk leider erst posthum große Anerkennung fand, ist Mary Anning – die Prinzessin der Paläontologie.



Eine Fossiliensammlerin aus England

Mary Anning wurde am 21. Mai 1799 in Lyme Regis, einem kleinen Städtchen im Süden von England, geboren.

Das Interesse an Fossilien wurde Mary Anning von ihren Eltern mit in die Wiege gelegt. Zur Familie von Mary Anning zählten neben dem Vater Richard und der Mutter Molly auch der Bruder Joseph. Richard Anning war von Beruf Tischler, der das Familieneinkommen mit dem Verkauf von Fossilien aufstockte, die er am nahe gelegenen Strand und den hiesigen fossilienreichen Klippen fand. Jene Kalksteinklippen genießen auch heute noch den Ruf als Mekka der PaläontologInnen. Mittlerweile wurde die sogenannte Jurassic Coast (Jura-Küste) von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Auch wenn hier zahlreiche Dinosaurier aus dem Kalkstein und Schiefer präpariert wurden, sind es vor allem Donnerkeile und Ammoniten, die in den Felsen und am Strand von Lyme Regis gefunden werden.


Ichthyosaurus - Zeichnung
Ichthyosaurus (Quelle: Ure, A. (1829): A New System of Geology)

Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1810 riss das Interesse an den steinernen Zeugen der Vergangenheit bei Mary und Joseph nicht ab. Beide gingen weiterhin auf die Suche nach Fossilien, die sie dann in „Anning´s Fossil Shop“ verkauften.

Eine Unterstützerin, die Marys Wissensdurst stillte, war die englische Fossiliensammlerin Elizabeth Philpot (1780 bis 1857), die Mary in das wissenschaftliche Thema Fossilien einführte gemeinsam mit ihr auf Fossiliensuche unterwegs war – bei Wind und Wetter sowie Amateurwerkzeugen, weshalb Mary Anning nicht selten belächelt wurde.

Ihre Mühe und Beharrlichkeit wurde belohnt. Im Alter von zwölf Jahren macht Mary Anning einen Fund, der bei Geologen für Begeisterung und Verwunderung sorgte. Nachdem ihr Bruder vorab einen wortwörtlich steinalten Schädel eines bis dato unbekannten Tieres entdeckt hatte, konnte Mary Anning alsbald das Skelett eines Ichtyhosaurus (= Fischsaurier) freilegen. Ihre Akribie, Geduld und das Studieren der möglichen Position des Fossils im Gestein waren neben Hammer, Meißel und Pinsel ihre wichtigsten Werkzeuge. Die Arbeiten der vollständigen Exhumierung des fossilen Skeletts dauerten beinahe ein Jahr. 1811 fand Mary Anning Knochen, die aus dem anstehenden Gestein herauslugten, Mit Präzision legte sie mit ihrem Bruder schließlich das 9,2 m lange Fossil frei, das heute im Fundus des British Museum beherbergt wird.

Im Laufe ihres Lebens machte Mary Anning weitere sensationelle Funde, wie bspw. Der Fund des Plesiosaurus dolichoderus 1823, der von George Cuvier (1769 bis 1832) zunächst für eine Fälschung bzw. ein aus verschiedenen Skeletten konstruiertes Wesen gehalten wurde, weil bis dato kein vergleichbares Wesen weltweit bekannt war. Einige Jahre später widerlegte der Naturforscher seine Aussage und Mary Annings Ruf war rehabilitiert.

1828 entdeckte Mary Anning den Flugsaurier Pterodactylus macronx. 1829 folgte der einem Mantarochen ähnliche Squaloraja. Für Aufsehen sorgte daneben der Fund eines Belemniten – optisch mit dem heutigen Tintenfisch vergleichbar, dessen Tintensack so viel Tinte enthielt, die auch mehrere Millionen von Jahren später noch schreibbar gewesen wäre.

Am 9. März 1847 verstarb Mary Anning mit 47 Jahren an den Folgen einer Brustkrebserkrankung.


Ichthyosaurus Knochen bzw. Osteologie
Schädel des Ichthyosaurus (Quelle: Ure, A. (1829): A New System of Geology)

Unbeachtet von der Wissenschaft und den Männern

Mary Anning wurde zu einer Zeit geboren, als das Studium wissenschaftlicher Fachrichtungen ausschließlich Männern vorbehalten war. Hinzu kam die Tatsache, dass Mary Anning aus bescheidenen Verhältnissen kam und die finanziellen Mittel zur Erweiterung ihres Wissens begrenzt waren.

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Forscher, die in späteren Jahren mit Mary Anning Kontakt hatten, wie der Zoologe Ludwig Leichhardt (1813 bis 1848), der sie als „strong, energetic spinster, tanned and masculine in expression“ - starke, energische Jungfer, gebräunt und mit männlichem Ausdruck beschrieb oder mit den Worten von Gideon Mantell (1790 bis 1852; Geologe und Paläontologe) „a prim, pendantic looking, thin female, shrewd“ - spröde, grimmig drein guckend, wenig weiblich, klug, verliehen ihr dennoch Titel, die voller Bewunderung waren; siehe Mantell, der sie „The geological Lioness“< (Die geologische Löwin) nannte, oder Leichhardt, der sie als „The Princess of Palaeontology“ - Die Prinzessin der Paläontologie inthronisierte.

Trotz der Tatsache, dass ihre Entdeckungen für die damals aufkommende Paläontologie von immenser Bedeutung waren, fand Mary Anning keinerlei Erwähnung in Fachzeitschriften. Mary Anning ging in einer von Männern dominierten Wissenschaft unter. Die Lorbeeren sammelten andere für sie ein. Wurde die Entdeckung eines neuen Fossils publik gemacht, wurde schlicht und einfach davon berichtet; siehe The Medical and Physical Journal von 1812, in dem der Fund eines vermeintlich versteinerten Krokodils („fossil crocodile (…) discovered under the cliffs between Lyme Regis and Chamouth“) erwähnt wurde.


Schema Zeichnung Plesiosaurus
Plesiosaurus (Quelle: Ure, A. (1829): A New System of Geology)

Mary Annings Fossilien wurden immer wieder von Geologen und Naturforschern detailliert beschrieben, aber auf wen die Entdeckung zurückging, blieb im Geheimen. Allenfalls ihr Bruder wurde erwähnt, wie bspw. In The New Monthly“ aus dem Jahr 1818 zu lesen ist: „There was lately found in a blue lias formation at Lyme Regis, a most superb specimen of the Zoophyte, called Pentacrinite, and it is now in the possession of Mr. Joseph Anning“ (Kürzlich wurde in der blauen Lias-Formation bei Lyme Regis ein hervorragendes Exemplar der Zoophyten gefunden, das nun im Besitz von Mr. Joseph Anning ist), das zuerst von Dean Conybeare (1787 bis 1857; Geologe und Paläontologe) und Henry De la Bèche (1796 bis 1855; Geologe) („first noticed by Dean Conybeare und Sir H. De la Bèche“) beschrieben wurde.
Erst im Jahr 1826 wird Mary Anning die Ehre zuteil im Philosophical Magazine and Journal unter der Überschrift „Appearance of a fossil tinder (…) by Mary Anning“ im Zusammenhang mit dem Fund von versteinertem Holz genannt zu werden.

Weniger geheim war allerdings mit den Jahren ihr Ruf, gut erhaltene Fossilien zu finden. Schon bald sprach sich das Fossiliengeschäft der Annings herum, in welchem sowohl Exponate für Museen wie auch für Privatsammlungen gekauft wurden. Einer der berühmtesten Kunden war Friedrich August II., König von Sachsen (1797 bis 1854).

Eine Form der Wertschätzung für Mary Anning findet sich bei Henry De la Bèche wieder. Ihre Fossilien inspirierten ihn 1830 für sein Gemälde „Duria Antiquor, a more ancient Dorset“, das die Unterwasserwelt der erdgeschichtlichen Vorzeit mitsamt Ichthyosaurier, Plesiosaurier und Pterosaurier darstellt.

Dennoch lehnte die Royal Society zeitlebens die Aufnahme von Mary Anning als Mitglied ab, weil die Statuten keine Frauen vorsahen. Ähnlich verhielt es sich mit Publikationen. Mary Anning hielt ihre Entdeckungen in Wort und Bild fest; veröffentlicht wurde allerdings nur ein Artikel bzw. ein kleiner Auszug von ihr im Jahr 1839, in dem sie über die Funktion von Haken- und Gaumenzähnen von Hybodus diskutierte, die bei der Beschreibung des selbigen bei De la Bèche keine Beachtung fanden.


Mary Anning und die Bedeutung für die Paläontologie

Mary Anning lebte zu einer Zeit, in der die göttliche Schöpfung als Erklärung für die Entstehung der Erde und Lebewesen galt. Die als Kreationismus bezeichnete Lehre ging davon aus, dass die Erde von Gott innerhalb von sieben Tagen erschaffen wurde und dass die Erde nicht wesentlich älter als 6000 Jahre ist. Dem zugrunde liegt die Berechnung von James Ussher (1581 bis 1656), einem Theologen, der anhand der Interpretation der Bibel den 23. Oktober 4004 v. Chr. Als Geburtstag der Erde berechnete.
Dass die Welt aber einem stetigen Wandel unterliegt, die Entstehung weitaus komplexer ist und auch Meteoriten Einfluss auf das Werden und Vergehen haben, war undenkbar.

Mary Anning gab sich mit diesen Gedanken nicht zufrieden. Anhand ihrer Fossilienfunde zog sie Vergleiche zu heute existenten Tieren und untermauerte ihre Meinung, dass die Tier- und Pflanzenwelt in der Vergangenheit eine andere war. Ihre Kritiker argumentierten hingegen, dass Lebewesen nicht aussterben können, Gott hat alle Lebewesen in Vollendung und Perfektion geschaffen. Die skurrilen Fossilien wären allenfalls das Zeugnis nicht vollständiger Schöpfung oder aber Lebewesen, die in bislang unerforschten Regionen der Erde heimisch sind. Die Paläontologie als Wissenschaftszweig, der das Leben und die Entwicklung von Flora und Fauna der erdgeschichtlichen Vergangenheit beleuchtet, steckte noch in den Kinderschuhen.

Dass Mary Anning mit den Gelehrten ihrer Zeit mitreden konnte, ist ihrem Interesse an Fossilien und dem Hintergrund der Entstehung (auch die der Gesteine als Matrix der Fossilien) zu verdanken. Autodidaktisch fand sie den Weg in die Geologie und stellte Fragen.
Mary Annings Expertise wurde zunehmend geschätzt, insofern namhafte Geologen sie auf Exkursionen an der Küste von Lyme Regis begleiteten und Wert auf ihre Erfahrung legten, insbesondere was den praktischen Teil der Arbeit, das Freilegen von Fossilien, betraf. So lernte sie u.a. Henry De la Bèche (Geologe), William Buckland (Geologe und Paläontologe), Richard Owen (Zoologe und Paläontologe), Thomas Hawkins (Geologe), Louis Agassiz (Naturforscher) oder Charles Lyell (Geologe) persönlich kennen.
Möglicherweise waren ihre Überlegungen auch Inspiration für Charles Darwin, der mit seinem Werk „The Origin of Species“ - „Die Entstehung der Arten“ 1859 Belege für die Evolutionstheorie präsentierte.

Mary Annings Verdienste in der Wissenschaft wurden erst gegen Ende ihres Lebens gewürdigt.
1846 ernannte die Geological Society Mary Anning zum Ehrenmitglied und mehr als 150 Jahre nach ihrem Tod wurde die britische Paläontologin von der Royal Society in die Liste der zehn einflussreichsten Frauen in der Wissenschaftsgeschichte aufgenommen.

Und auch in ihrem Heimatort Lyme Regis ist Mary Anning heute noch präsent, insofern in der St. Michael´s Kirche Mary Anning in Fensterbildern verewigt wurden.
Ebenso zollt die Wissenschaft Mary Anning ihren Tribut, sie war von großer Bedeutung für die Paläontologie und übte nachhaltig Einfluss auf die Erforschung der Fossilien aus, weshalb Mary Anning als Patin für einen Vulkan auf der Venus – Anning Paterae – steht, der Asteroid Maryanning nach ihr benannt wurde und verschiedene (zum Teil ausgestorbene) Lebewesen ihr zu Ehren im Namen Mary Anning tragen, z.B. Ichthyosaurus anningae, Anningia oder Belenostomus anningiae.


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Quellen:
The Medical and Physical Journal Containing the Earliest Information on Subjects of Medicine, Surgery, Pharmacy, Chemistry, and Natural History, Vol. 28, 1812
⇒ Annandale, C. (1817): Plesiosaurus. IN: The popular Encyclopedia A general dictionary of arts, sciences, literature, biography, and history
The New Monthly, Vol. 3
⇒ Taylor, R. (1826): A notice was read respecting the appearance of fossil timber on the Norfolk Coast. IN: Philosophical Magazine and Journal. Vol 67
⇒ Ure, A. (1829): The Ichthyosaurus and Plesiosaurus, two monstrous sea lizards. IN: A New System of Geology, in which the Great Revolutions of the Earth and Animated Nature, are Reconciled at Once to Modern Science and Sacred History
The Magazine of Natural History (1839): Extract of a letter from Miss Anning
⇒ Torrens, H. (1995): Mary Anning (1799-1847) of Lyme; 'the greatest fossilist the world ever knew'. IN: The British Journal for the History of Science, 1995, 28
⇒ Taylor, M. A. und Torrens, H. S. (2014): An anonymous account of Mary Anning (1799-1847), fossil collector of Lyme Regis, Dorset. IN: Proceedings of the Dorset Natural History & Archaeological Society. Vol. 135
⇒ Ward, L. K. (2016): Unearthing History: Mary Anning's Hunt for Prehistoric Ocean Giants
⇒ Newman, C. (2021): The forgotten fossil hunter who transformed Britain’s Jurassic Coast. IN: National Geographic
https://royalsociety.org - Most influential women in British science history
www.nhm.ac.uk - Eylott, M.C.: Mary Anning: the unsung hero of fossil discovery

Letzte Aktualisierung: 24. April 2024



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