Kupferschiefer-Hering
Kupferschiefer-Hering = Palaeoniscum Freieslebeni
Die versteinerten Fische des Mansfelder Reviers – eine Bergbauregion im Südwesten von Sachsen-Anhalt, die sich über das Gebiet zwischen Eisleben, Hettstedt, Mansfeld und Sangerhausen erstreckt und ein Zufallsfund im Zuge des Abbaus von kupferhaltigem Schiefer waren, sind schon seit Luthers Zeiten bekannt. In seinem Werk Genesis schreibt der gebürtige Eislebener Martin Luther (1483 bis 1546), dass „allerley Fischgestalt im die Schiefer“ vor Ort zu finden ist. Als Theologe interpretiert Luther die Fossilien als zu Stein gewordener Beweis der Sintflut.
Auch der Mediziner Johann Friedrich Zückert (1737 bis 1778) setzte sich 1763 mit den verschiedenen Fossilien, die in den „Mansfeldischen Fischschiefern“ zu erkennen sind, auseinander und zitierte die historischen Interpretationen vergangener Gelehrter. Neben Fischen erkannten diese unter anderem den „Abdruck eines Einhorns aus Hettstedt“, den „Abdruck von Pabst Leo X. Mit dreyfacher Crone und dem päbstlichen Ornat“ oder das Konterfei von Martin Luther.
Der Theologe Johann Albert Biering (1680 bis 1745) meinte 1734 sogar, ein „ganzes Ochsen-Sceleton“, „Crucifix“, „Bildniß der Jungfrauen Mariä mit dem Jesus-Kind“, „ein von Natur gewachsenes Engelsbild, Bildniß Adams und Evens, Ritter St. Georgen, welcher den Lindwurm erstochen“ hatte, gesehen zu haben.
Insbesondere Theologen sahen in diesen phantastischen und abenteuerlichen Fossilien die steinerne Vorstellung der Sintflut. Zückert gab aber folgendes zu bedenken: „Aber man muß nicht so leichtgläubig seyn und diese Sachen für wahrhaftig ausgegrabene und im Bergwerk gefunden haben. Sie sind die Wirkung eines künstlichen Betrugs, womit man in den ehemaligen Catholischen Zeiten dem gemeinen Volk ein Blendwerk machte“.
Sprich: Zu Zeiten der Entdeckung der Fossilien im Mansfelder Revier war der Stand der Wissenschaft noch weit entfernt vom heutigen Wissen. Die tatsächliche Entstehung von Fossilien war undenkbar; vielmehr regierte der Kreationismus, die Lehre der Schöpfungsgeschichte, dass die Welt und alles Leben von Gott erschaffen wurde. Evolution, Massenaussterben und geologische Prozesse, die das Leben auf der Erde erschufen, prägten und veränderten, waren undenkbar.
Da das fossilführende Gestein in dieser Art zum Zeitpunkt der Entdeckung derart einzigartig war, wurde es mit einem eigenen Namen versehen: „Lapis Eislebanus“ - Eislebener Stein (Agricola, 1546). Der Geologe und Paläontologe Heinrich Bronn (1800 bis 1862) bezieht sich 1837 ebenfalls auf die Besonderheit des Kupferschiefers und taufte die Fossilien „Ichthyolithus Eislebensis“ - altgriechisch für ´der versteinerte Fisch von Eisleben´.
Auch der schwedische Naturforscher Carl von Linné (1707 bis 1778) befasste sich 1778 mit den Eislebener Fossilien, denen er aufgrund der Vorkommen im Schiefer den Namen „Schwarzer Fischschiefer“ gab und als „Abdruck auf schwarzem Thonschiefer in Kupfer- und Schwefelkies verwandelte Fische“ definierte; im Konkreten unterschied er Barsch, Lachsforelle, Hecht und Karpfen.
Der heutige wissenschaftliche Name Palaeoniscum Freieslebeni hat allerdings den sächsischen Berghauptmann Johann Carl Freiesleben (1774 bis 1846) zum Paten. 1815 schreibt Freiesleben, dass die Kupferschiefer des Mansfelder Reviers besonders reich an Fossilien sind, betont im Besonderen die Häufigkeit von Fischfossilien verschiedener Größe, Positionen und führt Beispiele von heute existenten Fischen auf, die sich mit dem Kupferschiefer-Hering vergleichen lassen; namentlich Döbeln, Weißfische, Gründlinge, Heringe, aber auch Karpfen, Barsche, Forellen, Ellritzen und Schmerlen.
Um Freieslebens Erkenntnisse zu würdigen, schlägt der französische Zoologe Henri-Marie Blainville (1777 bis 1850) im Jahr 1818 in seinen Ausführungen mit dem Titel „Sur les Ichthyolites ou les poissons fossiles “ für die Ichthyolites d´Eisleben den Namen Palaeoniscum Freieslebenese vor.
Merkmale des Kupferschiefer-Herings
Paleoniscum freieslebeni war ein Fisch, der vor 259 bis 254 Mio. Jahren im Zechstein lebte und heute als ausgestorben gilt und in die Klasse der Knochenfische (Osteichthyes) fällt.
Biering beschreibt den Kupferschiefer-Hering 1734 als „ein grosser See-Fisch (…) mit grossen zusammen gebissenen Zähnen und die Zunge heraus hangend“. Laut Freiesleben waren die Fische im Schnitt zwischen 6 und 12 Zoll lang (15 bis 30 cm) und 3 Zoll breit, wobei aber auch Exemplare belegt sind, bei denen nach Freiesleben in der Länge 21 Zoll und in der Breite 4 Zoll gemessen wurden.
Die meisten steinernen Fischabdrücke aus Mansfeld und Umgebung weisen vom Kopf bis zum Ende der Schwanzflosse eine Länge von 10 bis 20 cm auf, können aber auch eine Körperlänge von 40 cm erreichen.
Der Kopf von Palaeoniscum Freieslebeni ist Freiesleben zufolge „am wenigsten konserviert“.
Vielmehr ist dieser „zerdrückt, gespalten“ oder in Fragmenten erhalten geblieben. Andere Abdrücke des urzeitlichen Fisches sind laut dem Berghauptmann für die Nachwelt so in Perfektion erhalten geblieben, „als wenn sie der künstliche Mahler“ entworfen hätte“.
Den Kopf beschreibt Freiesleben genauer und spricht von „beyden hufeisenförmigen Knorpel des Ober- und Untermauls, zwey kleine Knorpel an den Nasenlöchern, die sichelförmigen und darneben die breiten Knorpel an beyden Ohren“. Charakteristisch für den Kupferschiefer-Hering ist auch die Form des Kopfes, die leicht quadratisch ist mit einem Kiemendeckel, der höher als breit war. Der fossile Fisch besaß verschiedene Zähne: das Oberkiefergebiss war mit einheitlich großen und kegelähnlichen Zähnen bestückt, während die Größe der Zähne im Unterkiefer variierte.
Bei einigen Fischen mit Kopfabdruck ist die Augenhöhle teilweise mit kristallisiertem Calcit ausgefüllt, was in der Vergangenheit aufgrund der weißen Farbe mitunter den Eindruck erweckte, das Auge sei ebenfalls versteinert. Quenstedt lieferte 1851 allerdings den Gegenbeweis, da die mineralische Füllung unter Druckbelastung nicht stabil war.
Der Rumpf war an der Oberseite verhältnismäßig gerade, die Bauchseite stark konvex gewölbt, an der sich – genau wie am Rücken und After – im Vergleich zur großen Schwanzflosse deutlich kleinere Flossen befanden, die allesamt „weit nach hinten liegend“ angeordnet sind (Bronn, 1837).
Da im Zuge der Fossilisation auch die Abdrücke der Schuppen konserviert wurden, ist bekannt, dass Palaeoniscum Freieslebeni über 68 bis 70 Schuppenreihen verfügte,die teilweise mit einer Patina aus Chalkopyrit oder Buntkupferkies überzogen sind.
Bedingt durch die Anatomie des Kupferschiefer-Herings geht die Paläontologie davon aus, dass Palaeoniscum Freieslebeni über mehrere Ecken mit Stören und Flösselhechten verwandt ist.
Die Mehrzeit aller Abdrücke des Kupferschiefer-Herings ist von gekrümmter, bogenartiger Gestalt. Über die Ursache spekulierte bereits 1852 der Mineraloge und Geologe Gustav Leonhard (1816 bis 1878). Er war der Meinung, dass die Körperhaltung parallel oder zeitnah nach dem Ableben der Fische entstanden ist.
Während der Fisch auf den Meeresgrund niedersank, sorgten seitlich gegen den Fisch drückende Schlammschichten für die Verbiegung des Körpers. Leonhard zog aber auch in Betracht, dass die prähistorischen Fische „wie in Zuckungen starben“, genau wie die Fische durch die im Kupferschiefer enthaltenen Kupfervitriol-Lösungen vergiftet worden sein könnten.
Freiesleben äußerte sich seinerzeit ähnlich und nahm an, dass der Tod die Fische überraschte, insofern die gekrümmte Haltung dafür spricht; „schließt mann gewöhnlich, daß sie eines gewaltsamen schnellen Todes gestorben sind“.
Das Mansfelder Revier, wo seit mehr als 800 Jahren der Kupferschieferbergbau die Region prägte, ist der hauptsächliche Fundort des Kupferschiefer-Herings; siehe auch Freiesleben: „im Mansfeldischen kommen die Fischabdrücke häufig und bisweilen sehr schön vor“. Dahingegen sind die Funde der fossilen Fische in Sangerhausen seltener, nennt aber den Alten und Jungen Philippschacht sowie den Annenschacht als Vorkommen, genau wie in Eisleben, Stollberg, Glücksbrunn/Bad Liebenstein und Schmerbach/Helmershausen in Thüringen als Quelle aufführt. Weitere Vorkommen befinden sich in weiteren Teilen Thüringens und Hessens, Osterode/Niedersachsen, Wiehofen und Hoerstgen/Nordrhein-Westfalen sowie in Lubin und Polkowice/Polen und Durham/England.
Aus petrologischer Sicht ist Kupferschiefer kein „echter“ Schiefer, sondern Tonschiefer mit schiefrigem, plattenartigem Gefüge, d.h. Ein bitumen- und tonhaltiges Sedimentgestein, dessen Mineralbestand über die Tonminerale Illit und Montmorillonit sowie verschiedene Sulfidmineralien (u.a. Pyrit, Chalkopyrit, Bornit), Gips und Quarz definiert wird. Das namensgebende Kupfer sowie weitere Edelmetalle wie Silber, Quecksilber, Blei und Zink sind mit bis zu drei Prozent an der mineralischen Zusammensetzung des Kupferschiefers beteiligt – wobei für die Paläontologie in den Abraumhalden die Kupferschieferfossilien ohnehin interessanter sind.
Bedeutung des Kupferschiefer-Herings
Wie jedes andere Fossil ist auch der Kupferschiefer-Hering für die Wissenschaft von Interesse.
Funde von Fossilien ermöglichen es, das Leben auf der Erde in der Vergangenheit zu rekonstruieren, Verwandtschaften und die Weiterentwicklung von Lebewesen und Pflanzen zu verfolgen.
Der Kupferschiefer-Hering hat sich in der Paläontologie einen Namen als Leitfossil des Kupferschiefers gemacht, da er auch außerhalb von Mansfeld, Eisleben und Sangerhausen gefunden wurde/wird und als eine für eine bestimmte Ära in der Erdgeschichte eine typische Lebensform repräsentiert.
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Quellen:
- Agricola, G. (1546): Lapis Eislebanus. IN: Georgii Agricolae de ortu&causis subterraneorum lib. V. De natura eorum quæ effluunt ex terra lib. IIII. De natura fossilium lib. X. De ueteribus&nouis metallis lib. II. Bermannus; siue, de re metallica dialogus. Interpretatio Germanica uocum rei metallicæ
- Mathesius, J. (1570): Predig von der Historien des Herrn D. Martin Luthers. IN: Historien/ Von des Ehrwirdigen in Gott seligen theuren Manns Gottes/ Doctoris Martini Luthers anfang/ Lere/ leben unnd sterben
- Biering, J. A. (1734): Historische Beschreibung des sehr alten und löblichen Mannssfeldischen Berg-Wercks
- Zückert, J. F. (1763): Die Mansfeldischen Fischschiefer. IN: Die Naturgeschichte einiger Provinzen des Unterharzes nebst einem Anhange von den Mannsfeldischen Kupferschiefern
- Linné, C. v. (1778): Versteinerungen von Fischen. 1. Schwarzer Fischschiefer. Ichthyolithus schisti. IN. Des Ritters Carl von Linné vollständiges Natursystem des Mineralreichs
- Freiesleben, J. C. (1815): Thierische Abdrücke. IN: Geognostischer Beyträg zur Kenntnis des Kupferschiefergebirges
- Blainville, H.-M. (1818): Sur les Ichthyolites ou les poissons fossiles. IN: Article extrait du Nouveau Dictionnaire d'Histoire Naturelle, volume XXVIII.
- Quenstedt, F. A. (1851): Palaeoniscus Blainville. IN: Handbuch der Petrefaktenkunde
- Leonhard, G. (1852): Grundzüge der Geognosie und Geologie für Schule und Haus
- www.mineralienatlas.de - Palaeoniscus Freieslebeni