Unweit von Finsterbergen und Tabarz befindet sich am Ortsrand von Friedrichroda/Thüringen eine Höhle, die sowohl natürlichen Ursprungs ist, aber auch von Menschenhand geschaffen wurde – die Marienglashöhle.
Die Marienglashöhle in Friedrichroda blickt auf eine lange Geschichte zurück – und das nicht nur aus Sicht der Geologie, auch der Bergbau spielte in längst vergangenen Tagen eine bedeutende Rolle für die Marienglashöhle.
Der Bergbau im Thüringer Wald ist wegen der zahlreichen Bodenschätze seit Jahrhunderten ein wichtiges wirtschaftliches Standbein. Als auch in Mittelthüringen das begehrte Edelmetall Kupfer in Gesteinen in der Umgebung von Friedrichroda entdeckt wurde, begannen Kumpel im späten 18. Jahrhundert mit Grabungen in der Kleinstadt.
Die ersten Arbeiten werden auf das Jahr 1775 datiert, als in den Felsen des Tannenkopfs (621 m) ein Stollen gesprengt wurde. Die Bergarbeiter wollten auf der Suche nach Erzen immer weiter in das anstehende Gestein vordringen und stießen während weiterer Vorsprünge 1778 auf einen natürlichen, mit Kristallen ausgekleideten Hohlraum – die Kristallgrotte der Marienglashöhle.
Namenspate der Marienglashöhle ist das Mineral Marienglas, die kristallklare Varietät von Selenit, einem Gipsmineral. In der Vergangenheit wurde Marienglas als Ersatz für Fensterglas verwendet, um sakrale Kunstwerke, vor allem Marienbildnisse, vor Verschmutzungen oder Beschädigungen zu bewahren – daher der Name Marienglas.
Der Pädagoge Heinrich Schwerdt (1810 bis 1888) und der Reiseschriftsteller Alexander Ziegler (1822 bis 1887) schrieben 1871, dass die Kristallgrotte der Marienglashöhle „einem unterirdischen Feenschlösschen gleicht“, oder mit den Worten von Richard Roth und Ludwig Storch, wonach die Kristallgrotte „ein prachtvolles Gewölbe mit einem Säulengange“ ist.
Der Vergleich kommt nicht von ungefähr. Die Grottenwände sind über und über mit Kristallen besetzt, das „Marienglasbecken“, ein 3 bis 3,5 m „tiefes Wasserbassin“ spiegelt laut Schwerdt und Ziegler „den Glanz der Lichter“ in der Höhle wieder. Zudem schwärmen beide von den Gipskristallen, die „voll der herrlichsten Krystallisation“ sind und eine Länge von bis zu einem Meter erreichen und von außerordentlicher Reinheit sind. Roth und Storch vergleichen das auch als Fraueneis bezeichnete Marienglas deshalb auch als einen „magischen Spiegel“.
Als die Höhle entdeckt wurde, war die Marienglashöhle üppig mit Gipskristallen bestückt. Kein Wunder, dass der Mineraloge und Geologe Friedrich Senft (1808 bis 1893) 1871 der Meinung war, der „ganze Höhlenraum nämlich war eigentlich eine gigantische Krystalldruse“ mitsamt einem „labyrinthischem Geflechte der herrlichen Gipsspathkrystalle“. Laut Senft sind die Kristalle perfekt auskristallisiert und „bildeten das Grundgerüste, an und um welches herum dann sich mit der Zeit unzählige große und kleine, mannigfach gebogene, zum Theil gut ausgebildete und sich untereinander zu einem wahrhaft labyrinthischen Krystallgeflecht“ formieren. Allerdings sind diese Gipsformationen nicht erhalten geblieben; der Abbau des Minerals stand im Vordergrund. Auch erwähnt er kleine „ästige Bäumchen“ auf dem Höhlenboden, die wie vereiste „Nadeln der Fichten und Wachholdersträuche“ aussehen, in Wirklichkeit aber bizarr gewachsene Gipskristalle sind.
Die einst ursprünglich anvisierte Kupferausbeute der Marienglashöhle bzw. des Herzog-Ernst-Stollens lag weit unter den Erwartungen (Regel, 1896). Jedoch stellte die Gewinnung von Selenit/Gips ein abbauwürdiges Potential des mineralischen Rohstoffes dar, der Roth und Storch 1876 zufolge in einer Ziegelei und Kalkmühle vor Ort zu Kalk verarbeitet wurde. Nicht zuletzt, weil der Großteil des Gipses den Aufzeichnungen von Senft zufolge „durch erdige Beimengungen grau gefärbt“ war und sich nicht als Glasersatz eignete.
Bis zum Jahr 1903 wurden in der Marienglashöhle schätzungsweise 20.000 t Gips abgebaut. Im selben Jahr wurde der Abbau schließlich endgültig eingestellt und die Kristallgrotte in Teilstücken der Öffentlichkeit als Schaubergwerk zugänglich gemacht. Während der Kriegsjahre war der Zutritt zur Höhle nicht möglich, wenngleich die Höhle von den Einheimischen als Schutz aufgesucht wurde; die Neueröffnung der Marienglashöhle erfolgte am 30. November 1968, wobei auf einer Länge von 300 m Abschnitte der Höhle ganzjährig besucht werden können.
Die Gipsgrotte der Marienglashöhle entstand im Zuge etlicher geologischer Vorgänge.
Die Geologie der Region um Friedrichroda, Finsterbergen und Tambach-Dietharz ist vor allem durch Schiefer sowie Porphyre und Sedimente aus dem Rotliegenden (vor ca. 300 bis 250 Mio. Jahren) geprägt.
Wie viele Gebirge Mitteleuropas sind die Anfänge der Gebirgszüge des Thüringer Waldes auf die Variskische Gebirgsbildung zurückzuführen: vor etwa 416 Millionen Jahren bewegten sich die damaligen beiden Großkontinente Pangäa und Gondwana aufeinander zu. Mit der Kollision einhergehend wurde die Kontinentalmasse aufgefaltet, erkennbar anhand der sogenannten variskischen Gebirge – in Europa von Nordwest nach Südost streichend: beginnend im Süden Englands über die Benelux-Staaten, Deutschland bis zum Balkan und dem Osten der Türkei.
Die infolge dessen entstandene Basis des Thüringer Waldes unterlag an der Erdoberfläche alsbald den atmosphärischen Einflüssen von Niederschlag, Temperatur sowie Wind und verwitterte. Der zerkleinerte, abgetragene Gesteinsschutt wurde von Wind und Wasser in Tälern angesammelt. Durch nachfolgende Sedimentationen und im Abtragungsschutt zirkulierende Lösungen, die anschließend kristallisierten, entstanden erste Sedimentgesteine.
Fortwährend anhaltende tektonische und vulkanische Vorgänge der variskischen Orogenese bis vor 299 Millionen Jahren (Ende Perm) wandelten die Sedimentgesteine unter hohen Temperatur- und Druckbedingungen schließlich in Schiefer um.
Während der folgenden Trias (bis vor 251 Mio. Jahren) wurde das Variskische Grundgebirge durch die Verwitterung so weit abgetragen, dass dieses sich auf Meeresspiegelniveau befand. Folglicherweise kam es in weiten Teilen Mitteleuropas – bis etwa zur heutigen Grenze der deutschen Mittelgebirge – zu Überschwemmungen bzw. zur Ausbildung des Zechsteinmeeres. Die im Wasser des Zechsteinmeeres gelösten Ionen sind heute als Zeugnis anhand von Steinsalz- und ausgedehnten Gipsvorkommen zu belegen. Zeitgleich lagerten sich am Grund des Zechsteinmeeres Sedimente von Kalk und Sand ab.
Vor 65 Millionen Jahren war die Erde weiterhin tektonisch aktiv und es kam zur Hebung des Thüringer Waldes. Dabei wurden die vorherigen Sedimente entwässert und die Salze des Zechsteinmeeres kristallisierten aus. Die Buntsandstein- und Muschelkalkvorkommen um Friedrichroda entstanden. Zum gleichen Zeitpunkt muss in den genannten Sedimenten in einem natürlichen Hohlraum calciumsulfathaltiges Wasser eingeschlossen gewesen sein. Innerhalb von Jahrtausenden versickerte das Wasser aus diesem Hohlraum und aus den Lösungen bildeten sich Kristalle aus Gips. Da Gips zu den wasserhaltigen Sulfaten zählt, wurde während der Kristallisation ein Teil des Wassers in die Kristallgitter des Minerals eingeschlossen.
Bedingt durch die weitläufige Ausdehnung des Zechsteinmeeres sind die Gips- bzw. Zechsteinvorkommen nicht nur auf den Friedrichrodaer Raum beschränkt. Weitere Zechsteinablagerungen in Thüringen befinden sich an der Nordgrenze des Thüringer Schiefergebirges, der Linie Eisenach (im Westen) – Ilmenau – Saalfeld – Pößneck und Gera (im Osten) folgend sowie an der Südwestbegrenzung bei Ruhla am Rennsteig und Bad Salzungen.
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