Seit Beginn der Menschheitsgeschichte spielen Steine aller Couleur eine bedeutende Rolle als Schmuck. Neben der Schönheit der Steine an sich waren es in der Vergangenheit häufig okkultistische Motive, die Steine zu Schutzsteinen erklärten oder Steine wurden als Trophäen getragen. Ein Stein, der sich in vorchristlichen Zeiten eine Blütezeit erlebte, fand im späten 19. Jahrhundert eine neue Hochzeit, als Trauerschmuck mit schwarzen Steinen in Mode kam, darunter auch ein Stein namens Gagat.
Gagat, im Englischen als Jet bekannt, ist ein tiefschwarzes, fossiles Material, das seit Jahrtausenden für Schmuck und Kunstgegenstände verwendet wird.
Aus Sicht der Geologie wird Gagat als ein fossiles Holz definiert, das sich im Übergangsstadium zwischen Braun- zu Schwarzkohle befindet.
Der Mineraloge Max Bauer (1844 bis 1917) formulierte 1896 für Gagat typische Merkmale, die zur Unterscheidung von gewöhnlicher Braun- oder Steinkohle zutreffen. Demnach sollte die „ursprüngliche innere Holzstruktur“ nicht augenscheinlich auffällig sein, die Farbe „gleichmässig“ und „ohne Flecken“, tiefschwarz und samtig „ins Blauliche“ gehend sein. Braunstichige Nuancen sind bei Gagat ebenso üblich; stehen im Wert aber hinter intensiv schwarzen Exemplaren.
Die Ersterwähnung des Begriffs Gagat wiederum ist dem deutschen Mineralogen Georgius Agricola (1494 bis 1555) zu verdanken. 1546 erklärt er auch die Herkunft des Namens Gagat: „nach dem Flusse Gag in Lycien“, an dessen Mündung Gagat zum ersten Mal gefunden wurde (Lykien = historische Landschaft, die im Südwesten der heutigen Türkei liegt).
In der englischen Literatur wird Gagat häufiger unter dem Eintrag Jet gelistet. Dem Mineralogen und Geologen Jacob Nöggerath (1788 bis 1877) zufolge stammt das Wort Jet aus dem Französischen, wobei Gagat mit jayet oder jais übersetzt wird und im Englischen als jet übernommen wurde.
Auch der Dichter Gotthold Ephraim Lessing beschäftigte sich mit der Etymologie von Jet und war der Meinung, die Engländer „haben die ganze erste Sylbe des Namens weggeworfen“.
Gagat besteht mit einem Anteil von 75 bis 85 Prozent hauptsächlich aus Kohlenstoff, hinzu kommen Wasser, Sauerstoff und Stickstoff.
Dass Gagat in der Verarbeitung ein dankbares Material ist, liegt nicht zuletzt an der geringen Härte von Gagat. Der 10-stufigen Skala der Härte von Mineralien nach dem Mineralogen Friedrich Mohs (1773 bis 1839) folgend, weist Gagat eine Mohshärte von 2,5 bis 4 auf. Demnach ist Gagat so weich, dass mit dem Fingernagel Kratzer auf der Oberfläche hinterlassen werden können.
Ähnlich verhält es sich mit der Dichte von Gagat, die 1,3 bis 1,4 g/cm³ beträgt. Gagat ist vergleichbar leicht wie Bernstein. Ein Grund, weshalb Gagat in der Vergangenheit auch als Schwarzer Bernstein bezeichnet wurde.
Die Farbe von Gagat ist idealtypisch ein tiefes Schwarz, oder wie Nöggerath meinte: „sammet- oder pechschwarz“, weshalb Gagat mit Onyx, Obsidian, Pleonast/Spinell oder Schörl verwechselt werden kann. Gagat mit weißlich-grauen Einschlüssen oder Adern von Kalkstein erinnert dahingegen an Feuerstein mit Kalksteinanteil.
Die Strichfarbe ist ebenfalls dunkel, d.h. Wird Gagat über ein unglasiertes Porzellantäfelchen gestrichen, entsteht ein feiner pulverisierter Abrieb von bräunlich-schwarzer Farbe.
Naturbelassener Gagat zeichnet sich durch einen matten Glanz aus, durch die Politur wird das Material hochglänzend und von glasartigem bis fettigem Glanz.
Ein weiteres Merkmal von Gagat ist die elektrostatische Aufladungen durch Reibung; eine Eigenschaft, die sich auch bei Bernstein wiederfindet. Im Gegensatz zu Bernstein, der beim Erhitzen einen harzartigen Geruch verströmt, riecht Gagat bituminös.
In der Vergangenheit gingen die Gelehrten lange von der Annahme aus, Gagat wäre mit Bernstein – dem Harz der Kiefer Pinus succinifera verwandt. Als Begründung wurden die geringe Dichte und Härte angeführt.
Tatsächlich aber ist Gagat eine Variante von fossilem Holz, das über Jahrmillionen unter hohem Druck und in sauerstoffarmen Umgebungen karbonisiert wurde. Das Alter von Gagat variiert zwischen 300 und 250 Mio. Jahren. Nöggerath definierte Gagat einst als „eine mit Erdharz (Bitumen) sehr reichlich durchdrungene Braunkohle, welche im Innern noch zuweilen Spuren der Holztextur zu erkennen giebt“. Geologisch gesehen handelt es sich bei Gagat um eine Form von inkohltem Holz, das fast vollständig aus Kohlenstoff besteht, ähnlich wie Anthrazit, jedoch mit einer anderen Struktur und Entstehungsgeschichte.
Gagat entsteht durch die Inkohlung des fossilen Holzes einer Schuppentannenart bzw. Araukarie – den Vorgang der Verfestigung und Umwandlung von Pflanzen, bei dem Kohlenstoff angereichert wird – unter hoher Druckbelastung und Sauerstoffarmut im Faulschlamm; typischerweise über einen Zeitraum von mehreren Jahrmillionen. Dabei werden pflanzliche Zellstrukturen durch biologische und geochemische Prozesse in eine homogene, bituminöse Substanz mit hohem Kohlenstoffgehalt umgewandelt.
Gagat ist vergleichsweise selten, auch wenn es Vorkommen rund um den Globus gibt, wie beispielsweise in der Türkei, in Polen, Kambodscha, Portugal und in den USA. Für die Schmuckverarbeitung ist jedoch nur reinster Gagat brauchbar, wie solcher, der in Whitby/England, Asturien/Spanien und in Teilen von Frankreich abgebaut wird.
In Österreich und Deutschland existieren nur wenige kleinräumige Fundorte von Gagat, die sich auf Hallein, Bad Ischl und Roßleithen in Österreich konzentrieren, während Gagat in Deutschland vereinzelt in der Lausitz, im Raum Braunschweig und Salzgitter, im Bereich des Schwarzburger Sattels rund um Schwarzburg, Leutenberg, Saalfeld und Rudolstadt, aber auch in Ilmenau und Umgebung sowie in Oberhof und Zella-Mehlis gefunden wurde. Allerdings reicht die Qualität nicht an den klassischen Gagat bzw. Jett aus Whitby, Frankreich oder Spanien. Der Grund: zu viele Fremdbeimengungen, ungleichmäßige Farbverteilung und eingeschränkte Polierfähigkeit.
Bereits im Altertum wurde Gagat verarbeitet. Im Alten Rom wurden aus Gagat Schmuckstücke, Amulette und kunsthandwerkliche Objekte gefertigt. Im Mittelalter wurde Gagat als Heilstein genutzt und im viktorianischen England des 19. Jahrhunderts wurde Trauerschmuck aus Jett außerordentlich populär.
Allerdings ist nicht jeder Gagat für Schmuck oder Dekoobjekte geeignet. Schwundrisse, Adern von Kalksteinen oder Einschlüsse von Pyrit lassen das Material bröckelig-bröselig werde.
Bei der Bearbeitung von Gagat spielt Wasser eine wichtige Rolle. Beim Schleifen und Polieren entstehen infolge der mechanischen Beanspruchung hohe Temperaturen, auf die Gagat empfindlich reagiert und dazu neigt, zu zerspringen.
Apropos hohe Temperaturen: Carl Philipp Funke (1788 bis 1877; Schriftsteller) kannte ein weiteres Synonym für Gagat: Cannelkohle oder Candlekohle, was später als Kännelkohle im deutschen Wortschatz einen Platz fand. Funkes Schilderungen zufolge verwendeten arme Leute in England Gagat als Ersatz für Öllampen, da Gagat ähnlich hell brennen würde.
Hauptsächlich wurde Gagat aber zu Schmuck verarbeitet. Archäologische Funde von Gagat-Schmuck aus der Bronzezeit zeigen, dass Gagat sowohl in Skandinavien wie auch auf dem britischen Inseln und im Alten Rom beliebt gewesen war; nicht zuletzt, weil Gagat vielerlei schützende und heilende Kräfte zugeschrieben wurden und deshalb als Talisman oder Schmuck getragen wurden.
So war der römische Universalgelehrte Plinius (23 bis 79 n. Chr.) davon überzeugt, dass Gagat Schlangen vertreiben kann, sobald Gagat angezündet wird und den eigentümlichen Geruch verbreitet.
Der griechische Arzt Galenos von Pergamon, Galen, der im 2 Jahrhundert n. Chr. Lebte, sah in Gagat für die „Arzneikunde keine Anwendung“ (siehe Nöggerath). Der Arzt und Naturforscher Adam Lonitzer (1528 bis 1586) war 1582 trotzdem der Meinung, dass Gagat die „böse Fantasey“ nimmt und in Wasser gelegt und getrunken die Geburt erleichtere.
Der Aberglaube der schützenden Wirkung hielt sich auch in den folgenden Jahrhunderten. So schreibt Thomas Nicols, ein Mineraloge aus dem 17. Jahrhundert, dass jeder, der Gagat bei sich trägt, „sicher sey vor nächtlicher Furcht, vor dem Alp, oder Nachtmännlein und vor bösen Geistern. Auch hielt sich die Annahme, dass Gagat geeignet ist, um zu zeigen, ob „eine Jungfer ihre Jungfernschaft noch habe oder nicht“.
Ungeachtet dessen entstand in vielen Ländern Europas das Kunsthandwerk der Gagat-Schnitzerei. Frankreich und Spanien waren lange Zeit die Hochburgen der Gagat-Schnitzerei. Der Plaza de Azabache – übersetzt als Gagatplatz – im spanischen Santiago de Compostela zeugt noch heute von der Gagat-Historie der Stadt.
Lange Zeit galten Frankreich und Spanien als Hochburgen der Gagat-Schnitzerei, wobei das Plaza de Azabache (Gagatplatz) heute noch von der Historie der Stadt zeugt. In Frankreich wurden laut Nöggerath Sainte-Colombe, Payrat und Bastide für die Verarbeitung von Gagat zu „Halsschmuck, Ohrgehängen, Kreuzen, Rosenkränzen, Dosen und Knöpfen“, aber auch Spielmarken, Manschettenknöpfen und Schnupftabakdosen bekannt, wo im Jahr 1786 1200 Menschen jährlich „1000 Zentner“ Rohgagat verarbeiteten. Doch schon bald waren die Ressourcen in Frankreich erschöpft und man war auf Importe aus Spanien angewiesen, um die Gagat-Industrie aufrechterhalten zu können.
Denn: besonders in der Viktorianischen Zeitalters (1837 bis 1901)wurde Gagat weltweit beliebt: Königin Victoria (1819 bis 1901) trug nach dem Tod ihres Gatten Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha (1819 bis 1861) häufig Trauerschmuck aus Whitby-Jet, was zu einem regelrechten Boom von Gagat als Witwenstein führte. Als im späten 19. Jahrhundert die Vorkommen immer weniger wurden, endete die Ära Gagat weitestgehend. Stattdessen hielt Ebonit Einzug in die Welt und ersetzte Gagat. Ebonit wiederum ist ein ebenholzschwarzes Material, das aus Naturkautschuk und Schwefel hergestellt wird. Erfinder ist der US-amerikanische Chemiker Charles Goodyear (1800 bis 1860), der Ebonit im Jahr 1850 zum Patent anmeldete. Neben der Verwendung als Schmuckmaterial wurde Ebonit auch zur Herstellung von Musikinstrumenten genutzt.
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