Stollen: Ein Wort mit zwei Bedeutungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Für die einen ist der Stollen ein traditionelles Weihnachtsgebäck, für die anderen sind Stollen ein Begriff aus dem Bergbau. Seit einigen Jahren gibt es nun eine Verbindung zwischen dem Bäckerhandwerk und der Montankultur: Weihnachtsstollen, die in echten Bergwerksstollen gelagert werden und dort reifen.
Der Schriftsteller Karl Blumauer (1785 bis 1841) definierte das Backwerk Stollen in der Vergangenheit als „ein aus Butterteig und den besten dazu schicklichen Gewürzen bestehendes Gebäck, in Form eines Bergwerk-Stollens, das in Sachsen allein zu Weihnachten gebräuchlich ist“.
Den Stollen als Teil einer bergbaulichen Einrichtung beschrieb der Lexikograph Konrad Duden (1829 bis 1911) hingegen als ein „in den Berg getriebener waagerechter Gang“. Die Stolle hingegen sah er 1898 als ein „längliches Brot“. Sein Kollege Joseph Meyer (1796 bis 1856) verstand unter einem Stollen ein „bekanntes Gebäck, das ein Wickelkind darstellen soll und besonders zu Weihnachten gebacken wird“.
Die Funktion des bergmännischen Stollens war dem Encyclopädischen Wörterbuch von 1834 zufolge ein „mit Brettern abgestütztes Tragewerk zum Fördern und Befahren“ der Grube und um Grubenwasser abzuleiten. Das Wort Stollen wiederum stammt vom althochdeutschen Wort „stollo“ ab, was mit „Pfosten“ oder „Stütze“ gleichgesetzt werden kann und auf die Holzkonstruktion anspielt, die den in den Berg ausgehöhlten Teil sichert.

Die Geschichte des Weihnachts- oder Christstollens führt ins späte Mittelalter, als die strengen kirchlichen Fastenregeln noch den Alltag prägten. Nicht nur die Wochen vor Ostern, auch in der Adventszeit war der Verzehr tierischer Produkte untersagt. Butter, Milch und Eier galten als zu reichhaltig für die geistige Vorbereitung auf das Weihnachtsfest. Zucker war ohnehin ein Luxus.
Aus der Not wurde eine Tugend: aus Mehl, Hefe, Wasser und Öl entstand ein einfaches Brot. Zucker als Zutat wurde sparsam verwendet oder fehlte in den historischen Rezepten gänzlich. Der Geschmack stand nicht im Vordergrund. Der Theologe Johann Samuel Adami (1638 bis 1713) beschrieb die Stollen von 1676 als „ganß hol und bitter“. Außerdem haben die Stollen „gestuncken wie alte garstige Seiffe“.
Als Wiege des Weihnachtsstollens gilt Mitteldeutschland, allen voran Bäckereien und Klöster in Sachsen.
1491 wendete sich das Blatt. Papst Innozenz VIII. (1432 bis 1492) erließ auf Bitte des sächsischen Kurfürsten Ernst von Sachen (1441 bis 1486) und seines Bruders Albrecht (1443 bis 1500) den sogenannten „Butterbrief“. Das päpstliche Zugeständnis erlaubte den Bäckern des Bistums Meißens, Butter statt Öl zu verwenden. Allerdings nicht ohne eine Gegenleistung. Für jeden Laib Fastenbrot sollte ein halber Gulden für den Bau des Freiberger Doms gespendet werden.
Diese kirchliche Ausnahme hatte weitreichende Folgen. Aus dem einfachen Fastenbrot wurde nach und nach ein reichhaltiges Festgebäck zur Adventszeit.
Die älteste bekannte Erwähnung eines Gebäcks, das als Vorläufer des Stollens gilt, stammt aus dem Jahr 1329.
In den Rechnungsbüchern des dortigen Bischofssitzes von Naumburg an der Saale ist vermerkt, dass zwei Bäcker „Christbrote“ (lat. cristbrod) als Fastengebäck zur Weihnachtszeit an den Bischofshof lieferten.
Diese unscheinbare Notiz gilt heute als ältester schriftlicher Nachweis eines stollenähnlichen Gebäcks in Deutschland, lange bevor der Begriff Stollen selbst im Wortschatz verwendet wurde.
Rund eineinhalb Jahrhunderte später, 1474, taucht der Stollen erstmals unter dem heutigen Namen auf.
In den Rechnungsbüchern des St. Bartholomäus-Hospitals zu Dresden wird ein „Christstollen“ erwähnt, der zu Weihnachten gebacken und verschenkt wurde.
Von hier aus verbreitete sich das Gebäck rasch in ganz Sachsen, und besonders Dresden entwickelte sich im 16. Jahrhundert zum Zentrum der Stollenkunst.
Ein Höhepunkt dieser Tradition war das Jahr 1730, als August der Starke (1670 bis 1733), Kurfürst von Sachsen und König von Polen, für ein Fest einen Riesenstollen von 1,8 Tonnen Gewicht backen ließ. Gebacken wurde der Stollen von Johann Andreas Zacharias und 60 Gehilfen.
Dieses spektakuläre Ereignis gilt als Geburtsstunde des Dresdner Stollenfestes, das bis heute alljährlich gefeiert wird.
Während der Stollen im 15. Jahrhundert noch ein schlichtes Hefebrot war, kamen im Laufe der Zeit weitere Zutaten hinzu, die sich auch regional voneinander unterschieden. Der bekannteste aller Stollen bleibt aber der Dresdner Christstollen, der seit dem Jahr 2010 als geschützte geographische Angabe in der EU anerkannt ist.
| Epoche | Zutaten |
|---|---|
| 15.–16. Jh. | Mehl, Hefe, Wasser, Öl |
| 17. Jh. | Butter, Milch, wenig Zucker (noch Luxusware) |
| 18. Jh. | Rosinen, Mandeln, Zitronat, Gewürze (Zimt, Kardamom) dank Kolonialhandel |
| 19. Jh. | Puderzucker, Rum, Marzipan; Stollen als Festgebäck für das Bürgertum |
| Heute | Butter, Zucker, Milch, Rosinen, Zitronat, Orangeat, Mandeln, Vanille, Rum, Hefe – je nach Region variierend (Dresdner Christstollen, Mühlhäuser Stollen, Lausitzer Stollen) |
Wenn man einen Stollen betrachtet, könnte man vermuten, das Mundloch einer Grube habe als Vorbild für die Form des Weihnachtsstollens gedient. Tatsächlich aber wird die längliche, gewölbte Form und der weiße Zuckermantel des Stollens meist als Darstellung des in Windeln gewickelten Christkinds interpretiert.
Andere Deutungen führen den Ursprung des Stollens in den skandinavischen Raum zurück. Dort, so heißt es bei Rudolf Kleinpaul (1845 bis 1918; Philologe), habe das Gebäck ursprünglich die Gestalt eines „Ziemers eines Wildschweins“, d.h., die Form des Rückenbratens eines Wildschweins besessen.
Erst später wurde die Form christlich als „Windel des Christkinds“ umgedeutet. Kleinpaul verweist in diesem Zusammenhang auf das nordische „Julschwein“, das in der heidnischen Julzeit geschlachtet wurde, nachdem es das ganze Jahr über gefüttert wurde und zum Julfest als Symbol für den Überfluss steht.
Ähnliches berichtet der HistorikerErnst Ludwig Rochholz (1809 bis 1892). Der „Brodstollen“ erinnere an die „auffällige Form des Eberkopfes“. Im Laufe der Jahre ging dem Theologen Johann Adolph Jacobi (1769 bis 1847) zufolge die „Zubereitung vom Jolfeste auf das Christfest“ über.
Der Brauch, Stollen in Bergwerksstollen zu lagern, ist vergleichsweise neu und fußt auf einem technischen Vorteil.
Im Erzgebirge etwa werden seit einigen Jahren Stollen in echten Gruben zur aromatischen Reifung gebracht, etwa im Besucherbergwerk „Im Gößner“ in Annaberg-Buchholz. Aber auch über die Landesgrenzen hinaus werden Weihnachtsstollen teilweise in einstigen Bergwerken gelagert, so etwa im sauerländischen Ramsbeck.
Bei konstanten 8 °C und 95 % Luftfeuchtigkeit herrschen dort ideale Bedingungen, ähnlich wie in einem Weinkeller. Dass die Lagerungstemperatur wichtig ist, geht aus den Aufzeichnungen des Theologen Adami hervor, demzufolge die Stollen seinerzeit unangenehm gerochen hatten. Möglicherweise wurden die Stollen in einer zu warmen Umgebung aufbewahrt, sodass das Fett ranzig wurde.
Ganz neu ist die Verbindung von Berg und Brot allerdings nicht.
Im Thüringer Sagenbuch von Ludwig Bechstein (1801 bis 1860) erzählt die Sage „Die sechs Bergzwerge“, dass einst im „Tal der Piesau über Wallendorf, einem Ortsteil des heutigen Neuhaus am Rennweg, ein Kupferbergwerk betrieben wurde. Während am Tage die Kumpel das Erz abbauten, bekamen sie nachts Unterstützung von sechs fleißigen „Bergmännlein“. Als Zeichen der Dankbarkeit wollte die „Frau Bergräthin Hammann“ ihnen zu Weihnachten eine „hübsche Christbescherung“ zukommen lassen. Sie legte den Zwergen neue Anzüge und einen „schönen, weißen Christstollen“ vor das Stollenloch. Die Zwerge nahmen die Gabe allerdings nicht als Gabe wahr, sondern als Lohn für ihre Hilfe und zogen von dannen.
Mancherorts begleiten feierliche Prozessionen das Einlagern und Heraustragen der Stollen, insbesondere im Rahmen des Bergmanns-Advents.
Das Erzgebirge ist wie kaum eine andere Region von seiner montanen Vergangenheit geprägt.
Als der Bergbau im 19. Jahrhundert an Bedeutung verlor, wurden neue Berufszweige geboren. Aus Kumpeln wurden Holzschnitzer, die die Region mit Holzspielzeug, Schwibbögen und Pyramiden über die Grenzen Sachsens hinaus bekannt machten.
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