Bernstein: ein Stein, der zusammen mit Donnerkeilen, Hühnergöttern und anderen Versteinerungen zum Repertoire der Funde vom Ostseestrand zählt. Dass Bernsteine aber auch im Inland, fernab von der Küste vorkommen können, ist wenig bekannt. Bernsteinvorkommen in Mitteldeutschland sind allerdings nicht das Relikt historischer Handelswege, sondern das Zeugnis der Erdgeschichte einer Region. So wurden im sachsen-anhaltinischen Bitterfeld derart viele Bernsteine zutage gefördert, dass die Produktion des DDR-Bernsteinschmucks auch in Krisenzeiten gesichert werden konnte.
Unter dem Namen Bernstein werden in der Paläontologie verschiedene Jahrmillionen alte Harze verschiedenen Ursprungs verstanden. Abhängig von der jeweiligen Baumart und dem Alter unterscheiden sich Bernstein in Hinblick auf die Farbe, Haptik und Härte.
Bernstein | Farbe |
---|---|
Beckerit | beige bis graubraun |
Bitterfeldit | gelb |
Durglessit | mittleres orange-gelb |
Gedanit | hellgelb bis goldgelb |
Glessit | rotbraun bis schwarzbraun |
Goitschit | weiß-gelb bis gelbgrün |
Pseudostantienit | schwarz |
Stantienit | schwarz |
Succinit | farblos, weiß, gelb, goldgelb, orange, rotbraun, braun |
Ein Name, der im Zusammenhang mit dem Bitterfelder Bernstein fällt, ist Goitzsche. Der Name des Braunkohletagebaus im Osten von Sachsen-Anhalt, wo seit dem Jahr 1949 Braunkohle abgebaut wird. Dass der Tagebau Goitzsche als Bernsteinvorkommen bekannt wurde, ist einigen Zufallsfunden und dem Mangel von Bernsteinen zu verdanken.
Schon im frühen bis mittleren 19. Jahrhundert wurde darüber berichtet, dass in der Region um Bitterfeld Bernsteine zu finden sind. So schreibt beispielsweise ein gewisser C. Freyberg 1848 „Ueber den Honigstein und Bernstein von Bitterfeld in der Provinz Sachsen“, dass beim „Dorf Schlaitz ein 45 Loth schweres Stück Bernstein“ in einer Lehm-Sandstein-Schicht gefunden wurde.
Lange Zeit geriet der Bitterfelder Bernstein in Vergessenheit, bis in den 1950er Jahren Bernsteine als Nebenprodukt der Braunkohle entdeckt wurden. Seit 1953 wurden auf dem Gelände des Tagebaus Goitzsche intensive Prospektionen vorgenommen, bei denen sich herausstellte, dass stellenweise bis zu 8760 Gramm Bernstein in einem Kubikmeter Aushub enthalten sind (Fuhrmann, 2004). An anderen Stellen betrug die Ausbeute nur 5 g/m³, weshalb erst in Claims mit einem Wert von wenigstens 50 g/m³ als wirtschaftlich rentabel bzw. abbauwürdig eingestuft wurden. Eine nur schwer fassbare Menge an Bernsteinen, die auf einer Fläche von 6 km² abgebaut wurde und dem Bitterfelder Bernsteinvorkommen den Titel als zweitgrößtes Bernsteinvorkommen nach der Ostsee einbrachte.
Dem vorangegangen war ein Mangel an Ostsee-Bernstein. Der Bernsteinschmuck des VEB Ostseeschmuck in Ribnitz-Damgarten war über die Grenzen der DDR hinaus begehrt. Mehr als 500 Mitarbeitende fertigten vor Ort Schmuck aus Bernstein, der im In- und Ausland für Begeisterung sorgte. Als zu Beginn der 1070er Jahre der Nachschub an Bernstein aus der Sowjetunion versiegte, wurde in Zeitungen öffentlich geworben, dass das Bernsteinunternehmen Bernsteinfunde auch von Privatpersonen ankaufe. Auf die Anzeige hin meldeten sich viele Bitterfelder, weshalb man auf die Region aufmerksam wurde.
1974 wurde mit dem Abbau des Bernsteins in Bitterfeld begonnen, teils manuell und improvisiert. Aufgrund des Mangels an Technik wurden die Bernsteine mit Planierraupen, Wasserstrahlern, Siebanlagen und Eigenkonstruktionen abgebaut.
Der Erfolg gab dem Projekt recht; seit der Inbetriebnahme wurden in den ersten 25 Jahren 408 Tonnen Bernstein gefunden. In der Periode von 1992 bis 1993 waren es 18 Tonnen. Der Grund für den Rückgang der Fördermenge: im Rahmen von Renaturierungsprogrammen wurde der ausgediente Braunkohletagebau geflutet und der heutige Bernsteinsee entstand. Der Abbau erfolgte fortan über Schwimmbaggern, welche den bernsteinhaltigen Seegrund gleichzeitig auflockerten und die Sedimente aufsaugten.
Schon bald nach der beginnenden Flutung kam die Produktion zum Erliegen, was wild schürfende Bernsteinsammelnde nicht davon abhielt, nach Bernsteinen zu suchen. Ein gefährliches Unterfangen und das nicht nur aus juristischer Sicht, sondern auch, weil die Gefahr sich selbstentzündender Schwelbrände und von Einstürzen bestand.
Im Jahr 2015 wurde die aktive Suche nach Bernstein auf Goitzschsee wieder aufgenommen und bringt etwa eine Tonne Bitterfelder Bernstein jährlich ans Tageslicht.
Bitterfelder Bernstein*
Unter allen Bernsteinen, die in Bitterfeld gefunden werden können, überwiegt mit einem Anteil von 99,95 % goldgelber bis brauner Succinit. Die übrigens 0,05 % entfallen auf die Bernsteinarten Goitschit, Glessit, Beckerit, Stantienit, Pseudostantienit, Gedanit und Bitterfeldit.
Dementsprechend vielseitig ist die Farbe der Bitterfelder Bernsteine. Angefangen von milchig-trüben und weißgelben Bernsteinen bis hin zu gelben, orangeroten, braungelben, schwarzen, grün- und blaustichigen Exemplaren.
Häufig sind die Bernsteine auf den ersten Blick unscheinbar, da eine dunkle, matte Verwitterungskruste die eigentliche Farbe versteckt. Erst nach dem Schleifen und der Politur wird die tatsächliche Farbe und Reinheit sichtbar.
Eine Besonderheit der Bitterfelder Bernsteine sind die vielen gut erhaltenen Inklusen. Einschlüsse, die im Bernstein konserviert die Tier- und Pflanzenwelt der Vorzeit der Erde präsentieren. Über die Auswertung der in den Bitterfelder Bernsteinen enthaltenen Pollen, Samen und Sporen konnten unter anderem Schirmtannen, Kiefern, Wasserfichten, Tupelo-Bäumen, Heidekraut, Sumpfzypressen, Stechpalmen, Birken, Eichen, Erlen, Weiderichgewächse, Teich- und Seerosen sowie Gräser genau wie Schimmelpilze nachgewiesen werden (Endtmann et al 2021).
Die Fauna wird vorrangig durch Insekten repräsentiert. Käfer aus 52 Familien (Krumbiegel, 1997), diverse Mücken und Fliegen, Springschwänze, Schmetterlinge und Wanzen wurden bislang im Bitterfelder Bernstein identifiziert.
Das Bitterfelder Bernsteinreichtum ist Bernsteinlage mit zehn Metern Mächtigkeit zu verdanken, deren Alter auf das obere Oligozön bis untere Miozän (28 bis 20 Mio. Jahre) datiert wird. Neueren Erkenntnissen zufolge, die sich auf Pollenanalysen stützen, ist der Bernstein sogar 15 bis 20 Mio. Jahre älter.
Die Tatsache, dass Bernstein im Binnenland vorkommt, ist zunächst verwunderlich. Ein Blick in die Geschichte der Erde zeigt jedoch, dass die Erde vor knapp 30 Mio. Jahren noch nicht mit der Erde von heute vergleichbar ist. Dort, wo heute der Bitterfelder Bernsteinsee liegt, befand sich im späten Oligozän bzw. frühen Miozän eine Küstenlinie mitsamt einer Lagune und einem Flussdelta inmitten einer Landschaft aus Sümpfen und einem Vegetationsbestand, der anhand von Analysen des Bernsteinharzes und den darin eingeschlossenen Pollen sowie Samen rekonstruiert werden konnte. So wuchsen im einstigen Urwald neben Aukarien auch Kiefern, Birken, Schirmtannen, Tupelo-Bäume, Sumpfzypressen, Weideriche und Goldlärchen, die das spätere Ausgangsmaterial für die Entstehung der Braunkohle und des Bernsteins darstellten.
Das Harz als Bestandteil des Bernsteins wird von Bäumen als natürliches Pflaster“ bei Verletzungen der Rinde abgesondert. Gelangen diese Harztropfen ins Wasser und werden von Sanden überlagert, wird die Zersetzung unter Sauerstoffabschluss verhindert und das Harz konnten im Laufe von Jahrmillionen zu Bernstein erhärten.
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