Wenn man heute im oberen Siebertal im Harz spazieren geht, ist es kaum vorstellbar, dass sich hier einst eine Hochburg der Eisenverarbeitung befand. Nur die Reste historischer Anlagen und zwischen den Kieseln im Flussbett aufblitzende blaue Steine zeugen von der industriellen Vergangenheit der Region. Was wie ein seltenes Mineral aussieht, ist in Wahrheit ein menschliches Relikt der frühen Industriegeschichte: der sogenannte Sieber-Achat.
Der Name Sieber-Achat ist irreführend, denn mit echtem Achat hat dieses Material weder chemisch noch in puncto Entstehung etwas gemein. Tatsächlich handelt es sich bei Sieber-Achat um Schlacke - das Nebenprodukt aus dem Hochofenbetrieb der ehemaligen Steinrenner Hütte, in der vom späten 18. Jahrhundert bis 1857 lokales Eisenerz verarbeitet wurde. Während des Schmelzprozesses fiel als Schmelzprozesses fiel als „Abfall“ eine blaue Schlacke an, die durch rasches Abkühlen im Kühlwasser eine glasartige Struktur ausbildete.
Trotz des technischen Ursprungs erinnert das Erscheinungsbild des Materials erstaunlicherweise an natürlichen Achat: Die Farbe reicht von strahlendem Mittelblau über Blaugrau, Stahlblau bis zu Taubenblau, durchsetzt von weiß-blauen Ringen, Schlieren oder linsenförmigen Zonen. Häufig treten mehrere Blautöne nebeneinander auf, die oft scharf voneinander abgegrenzt sind. Ockergelbe oder rostfarbene Bereiche, verursacht durch Eisenverbindungen wie Hämatit, können ebenfalls vorkommen.
Echter Achat hingegen, der in der Mineralogie als Varietät von Quarz definiert wird, entsteht durch die schichtweise Ablagerung von Kieselsäure in Gesteinshohlräumen und zeigt meist konzentrisch-bandartige, sich wiederholende Strukturen und Muster in verschiedenen Farben. Die Farbe Blau gehört dabei allerdings nicht zur natürlichen Palette: Blauer Achat wird in der Regel künstlich durch Behandlung mit Kaliumferrocyanid und Eisenvitriol erzeugt.
Über die Ursache der blauen Farbe der Schlacke aus der Steinrenner Hütte gab es in der Vergangenheit unterschiedliche Theorien. Der Mineraloge Karl Cäsar von Leonhard (1779–1862) zitierte frühere Chemiker und Hüttenleute wie Johann Friedrich Gmelin (1748 bis 1804; Naturwissenschaftler), Sven Rinman (1720 bis 1792; Mineraloge und Bergbaufachmann) und Martin Heinrich Klaproth (1743 bis 1792; Chemiker), die Eisen als farbgebendes Element annahmen.
Der Chemiker Wilhelm August Lampadius (1772 bis 1842) brachte phosphorsaures Eisen ins Spiel, doch Hausmann widersprach, da er in der blauen Schlacke keine Phosphorsäure nachweisen konnte. Auch Titandioxid wurde als möglicher Farbgeber diskutiert – es würde die Schlacke allerdings eher grau als himmelblau färben.
Die Steinrenner Hütte war über 70 Jahre lang ein bedeutender Standort der Eisenverhüttung im Harz. Der Hüttenschreiber Johann Georg Stünkel beschrieb sie eine „½ Meile von St. Andreasberg und 1 ½ Meilen von der Königshütte“ entfernt, „im Thale zwischen hohem, düsterm Gebirge gelegen“.
Der Bau der Steinrenner Hütte begann 1788 als Außenstelle der Königshütte unter der Leitung des Berghauptmanns Friedrich Wilhelm von Reden (1752 bis 1815). Der Neubau des zweiten Hochofens bzw. die Verlagerung an diesen Ort war strategisch motiviert: Die Nähe zu den hiesigen Erzvorkommen – insbesondere Roteisenstein (hämatitreiches Gestein) und Brauneisenstein (Limonit) laut dem Chemiker Sheridan Muspratt (1821 bis 1871) – sowie die Wasserkraft aus der Sieber und reichlich Wald, der das notwendige Feuerholz lieferte, machten den Standort ideal.
Die Hütte wurde mehrfach erweitert und modernisiert. Das Erz vom nahegelegenen Eisensteinberg wurde in Hochöfen geschmolzen, um das Eisen aus dem Gestein zu lösen. Dabei fiel silikathaltige Schlacke an, ein Teil davon gelangte über das Kühlwasser direkt in die Sieber – dem namensgebenden Fluss des Sieber-Achats.
Zuletzt im Jahr 1857; danach gingen in der Steinrenner Hütte für immer die Lichter aus. 1868 wurde die Hütte zurückgebaut.1863 wurde auch in der Königshütte der Betrieb eingestellt. Der Grund: die Standorte waren wirtschaftlich nicht mehr konkurrenzfähig.
Im Laufe der Zeit rundete das Flusswasser die scharfkantige Schlacke ab, das Aneinanderstoßen mit anderen Steinen glättete die Oberfläche. Wer genau hinsieht, erkennt den künstlichen Ursprung von Sieber-Achat: die „unnatürlich“ wirkende blaue Farbe, die sich deutlich von den anderen Gesteinen abhebt, und die blasenartige Hohlräume, die als Zeugnis der aufkochenden Schmelze erhalten geblieben sind.
Die blauen Steine der Sieber sind auffällig und begehrt, ob für Sammlungen oder als Material zur Herstellung von Schmuck. Heutzutage ist das Sammeln von Sieber-Achaten verboten. Mit der Ernennung zum Naturschutzgebiet (NSG Siebertal) im Jahr 1992 ist es laut §4 Abs. 3 Nr. 11 der Verordnung zum Naturschutzgebiet „Siebertal“ untersagt, „Mineralien und Fossilien zu sammeln“.
Hinzu kommt, dass Sieber-Achate selten geworden sind. Eine Möglichkeit, Sieber-Achate zu bestaunen, biete das Museum der Grube Samson in St. Andreasberg. Hier wird die blaue Schlacke der Sieber als Teil der regionalen Mineraliensammlung präsentiert.
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